
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Arbeitsgemeinschaft Selbst Aktiv
Menschen mit Behinderung in der SPD im Land Bremen.
Für Bremerhaven, Bremen und Bremen-Nord
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Ein Traktat der Arbeitsgemeinschaft Selbst Aktiv in der Landesorganisation Bremen zu Themen der Behindertenpolitik.
V.i.S.d.P.: Udo Schmidt
Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft
Bremen, im Mai 2018
In den nachfolgenden Zeilen möchten wir aufzeigen was unsere Aufgaben als Arbeitsgemeinschaft sind und wie wir als politische Interessenvertretung die Ziele der Bedarfe von Menschen mit Behinderungen beeinflussen möchten. Aufgrund der Tatsache, dass die Aufgaben der Behindertenpolitik durch ihre Art vielfältig und eine Querschnittsaufgabe ist, muss die gesamte Bevölkerung angesprochen werden und die wichtigste und erheblichste Hürde überwunden werden, die Köpfer der Menschen. Eine gewisse Stigmatisierung steckt leider in uns allen.
Präambel
In der Freien Hansestadt Bremen leben laut dem statistischen Landesamt Bremen, Stand 31.12.2015, 55.682 Menschen mit Behinderungen. In der Stadt Bremen = 44.163, in Bremerhaven = 11.546. Nur ca. 4 % davon sind von Geburt an beeinträchtigt. Also erfolgen die meisten Beeinträchtigungen im Laufe des Lebens und dass in jeder Lebenslage durch Krankheit oder Unfälle.
Selbst Aktiv Bremen bringt sich deshalb aktiv in die Behindertenpolitik ein. Wir sagen: Nichts über uns ohne uns!
Als Personen mit Beeinträchtigungen gelten Menschen mit anerkannter
Behinderung sowie Personen mit chronischer Erkrankung oder lang andauernden gesundheitlichen Problemen. Wenn Beeinträchtigungen mit Barrieren in der Umwelt so zusammenwirken, dass dies eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft einschränkt, wird von „Behinderung“ gesprochen. Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben.
Die umfassende Inklusion behinderter Menschen ist Bestandteil unserer sozialdemokratischen Gesellschaftspolitik. Die SPD begreift Teilhabe als zentrales Instrument der Schaffung sozialer Gerechtigkeit: Teilhabe, Barrierefreiheit und Selbstbestimmung sind dabei die Schlüsselbegriffe. Weg von der Fürsorge hin zu mehr selbstbestimmter Teilhabe und Umsetzung eines verpflichtenden Menschenrechts. Die Grundlage der politischen Arbeit von Selbst Aktiv sind unter anderem die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), der Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK im Land Bremen und das Bundesteilhabegesetz (BTHG). Die SPD ist die Partei, die mit der Arbeitsgemeinschaft Selbst Aktiv, Menschen mit Behinderung direkt in ihre politische Arbeit einbezieht und Teilhabe verwirklicht.
Wir sind Ansprechpartner und kompetente Experte für die Belange von Menschen mit Behinderung in Bremen. Unsere Ziele erreichen wir in Wirkung und Zusammenarbeit mit lokalen und bundesweiten Verbänden, Arbeitskreisen oder anderen Interessenvertretern im Bereich der Behindertenpolitik.
Unsere Ziele
- Inklusion
Die vollständige und gleichberechtigte Möglichkeit an allen gesellschaftlichen Prozessen teilzuhaben. Von Anfang an und unabhängig von eigenen Fähigkeiten, Geschlecht und Alter, sozialer oder ethnischer Herkunft. - Barrierefreiheit
Eine Umwelt, die so gestaltet ist, dass sie von Menschen mit und ohne Behinderung, jung und alt, deutsch oder mit Migrationshintergrund jederzeit in derselben Weise genutzt werden kann. - Politische Teilhabe
Menschen mit Behinderung sollen Verantwortung im Leben und in der Gemeinschaft selber tragen und ihre Interessen selbstverantwortlich wahrnehmen und selbstbestimmt vertreten. Dies schließt die Vertretung in Parlamenten und Parteiorganen selbstverständlich ein.
Wie wollen wir unsere Ziele erreichen
- Lernen
Die konsequente Verwirklichung von inklusiver Bildung ist für uns Selbstverständlichkeit. In der frühkindlichen, schulischen und beruflichen Bildung, sowie in der Hochschul- und Weiterbildung.
Die SPD im Land Bremen bekennt sich zur gleichberechtigten Teilhabe behinderter Schülerinnen und Schüler an allen allgemeinbildenden Schulen gemäß Behindertenrechtskonvention und sagt „Ja“ zur schulischen Inklusion.
Für die Verwirklichung von inklusivem Unterricht sind die notwendigen Personal- und Sachressourcen sowie die erforderliche konzeptionelle Unterstützung sicherzustellen.
Die Teilhabe behinderter Schülerinnen und Schüler ist an allen Schulformen umzusetzen. Notwendige Frühförderung soll in den regulären Kindertagesstätten stattfinden. Der Übergang von Kindertagesstätten zur Schule muss „unterbrechungslos“ erfolgen um somit eine kontinuierliche Entwicklung für „alle“ zu fördern.
Das „Baby-Signal“ sollte ein Standard in allen Kitas werden, die Idee: Die Kleinen sollen sich, schon bevor sie sprechen, einfacher mitteilen können. In einigen Bremer Kitas nutzen Erzieher Gebärden, um sich mit Kleinkindern besser zu verständigen und auch immer mehr Eltern setzen auf Babyzeichensprache. Diese Form der Kommunikation erleichtert Lernprozesse auf allen Ebenen, die Investitionskosten beschränken sich auf die Weiterbildung der Pädagogen.
Im September startete an der Erfurter Gemeinschaftsschule am Roten Berg der bilinguale Unterricht. Das Besondere: Die zweite Sprache ist die Gebärdensprache. Dieses Inklusionsmodell ist in Deutschland einzigartig. Bis zu drei Lehrerinnen sind gleichzeitig im Einsatz. Denn hier lernen nicht nur hörende, gehörlose und schwerhörige Kinder miteinander, sondern auch fremdsprachige Kinder mit Migrationshintergrund. (Quelle: rollingplanet.net)
Gymnasien haben sich der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe genauso wie alle anderen Schulen konstruktiv zu stellen.
Um die Situation an Bremer Schulen insgesamt zu verbessern, werden Ausgaben für öffentliche Schulen je Schülerin und Schüler durch das Land Bremen bis spätestens zum Ende der nächsten Legislaturperiode (bis spätestens 2023) dem Niveau der Stadtstaaten Berlin und Hamburg angeglichen.
Der Übergang von der Schule in den beruflichen Alltag muss begleitend erfolgen. Zu oft stehen Menschen mit Behinderungen vor unüberwindbaren Hürden nach dem Abgang aus der Schule in das Berufsleben. Hier soll und muss mit Hilfe der Fachdienste der Agentur für Arbeit und dem Integrations-Fach-Dienst eine Lösung gefunden werden.
Nach unseren Recherchen sowie Erfahrungen ist das Thema „Behinderung“ in den Aus-, Fort- und Weiterbildungen im Berufsleben ungenügend berücksichtigt. Auch Menschen mit Behinderungen müssen sich weiter entwickeln können. Lernen und Erlernen, kein Stillstand in der Bildung. Das große und aktuelle Thema „Digitalisierung“ muss für uns ein Ansporn und Aufhänger sein nicht einen Teil der Bevölkerung aus dem Auge zu verlieren. - Arbeiten
Beim Thema Arbeit und Beschäftigung denkt man in der Regel an sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse. Bezogen auf Menschen mit Behinderungen wäre das allerdings irreführend. Viele Menschen mit Behinderungen arbeiten nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern in so genannten Werkstätten für behinderte Menschen.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat die Bundesregierung aufgefordert, den allgemeinen Arbeitsmarkt für behinderte Menschen zugänglicher zu machen und über die Zukunft von Behindertenwerkstätten offen zu diskutieren.
Menschen mit Behinderungen arbeiten dort in einer Art Sonderwelt, isoliert von Menschen ohne Behinderung. Dort haben die Beschäftigten oft keine andere Wahl – entweder, weil ihnen mangels anderer Ausbildungsperspektiven von vornherein keine Alternative bleibt, oder, weil kein Weg aus der Werkstatt wieder heraus führt. Und sie erhalten für ihre Tätigkeit keine auskömmliche Entlohnung, sondern nur ein sehr geringes Entgelt.
Somit müssen wir eine wirksame Strategie entwickeln, wie der allgemeine Arbeitsmarkt inklusiv gestaltet werden kann, und wirksame Maßnahmen ergreifen, um ihn für Menschen mit Behinderungen in ihrer Vielfalt zugänglich zu machen und über die Zukunft der Werkstätten diskutieren und ein Konzept entwickeln, wie diese Sonderstruktur langfristig in Richtung eines inklusiv gestalteten Arbeitsmarkts aufgelöst werden kann. Dabei ist natürlich darauf zu achten, dass Menschen mit Behinderungen, die heute in Werkstätten arbeiten, keine Nachteile davontragen. Das neue Bundesteilhabegesetz (BTHG) hat hier die ersten Ansätze mit dem „Budget für Arbeit“ vorgenommen, was eher eine breitgefächerte Beschäftigung ermöglichen soll.
Zu berücksichtigen ist auch, dass Arbeitgeber nur selten und sehr zögernd bereit sind, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen. Zwar müssen Arbeitgeber, die die vorgeschriebene Zahl von schwerbehinderten Menschen nicht beschäftigen (Beschäftigungspflicht, § 71 SGB IX), für jeden unbesetzten Pflichtplatz eine Ausgleichsabgabe entrichten (§ 77 Abs.1 Satz 1 SGB IX), dieser Satz ist aber so gering mit 125€ bis 320€ im Monat – je nach Beschäftigungsquote, dass sich einige Unternehmen billig von jeder Verpflichtung freikaufen.
Hier ist unbedingt zu überlegen, ob eine erhebliche Anhebung der Ausgleichszahlung nicht besser zum Ziel der inklusiven Beschäftigung führen kann. Darüber hinaus muss für Arbeitgeber mehr Übersicht hergestellt werden: Darum treten wir dafür ein, dass eine Internetseite geschaffen wird, welche die Programme und Fördermöglichkeiten für die Beschäftigung behinderter Menschen im Bundesland Bremen zielorientiert darstellt.
Niedrigschwellige Angebote zur Beruflichen Teilhabe erfüllen eine wichtige Funktion und erreichen Menschen mit schwereren psychischen Erkrankungen.
Besonders wichtig ist es, das Thema Arbeit, berufliche Perspektive und Tagesstruktur rechtzeitig in den Blick zu nehmen ist. Grundsätzlich steht psychisch erkrankten Menschen auch die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen zur Verfügung. Inwieweit diese teilweise auch für Menschen mit körper- und geistiger Behinderungen konzipierte Einrichtungen auch für psychisch Erkrankte angemessene Angebote machen, hängt sehr von der konzeptionellen Ausrichtung der jeweiligen Einrichtungen vor Ort ab und kann nicht generell beantwortet werden. (Info Psychiatrienetz)
Dieses Netz der Werkstätten für Behinderte (WfB) als besonderen Form der Beschäftigung muss erhalten und weiter ausgebaut werden.
Leider gibt es in Bremen viel zu wenige Plätze für niederschwellige Arbeit, wogegen für andere Arten der Behinderungen die WfB-Plätze ausgebaut werden. Hier scheint ein Ungleichgewicht zu entstehen, was sich vielleicht auch damit erklären lässt, dass dort, anders als in der WfB, nicht sozialversicherungspflichtig gearbeitet wird und die stündliche Aufwandsentschädigung von geringster Höhe seit ca. zwanzig Jahren nicht angehoben wurde.
- Leben
Keine Spaltung unserer Städte in Reich und Arm. Wir wollen Integration mit Respekt, Regeln und gleiche Chancen für Alle. Inklusion heißt auch Leben. Leben in und mit der Gesellschaft.
Menschen mit Behinderungen sind überall aber trotzdem nicht immer präsent. Leider herrscht noch vielmals die Meinung, Menschen mit Behinderungen gehören in Heime, in Institute, weg aus dem Alltag, aus dem Blick, sie dürfen keine störenden Faktoren sein.
Wir aber wollen ein selbstbestimmtes Leben immer und überall, mit gleichen Chancen wie alle anderen Menschen auch. Menschen mit Behinderungen müssen ihre Individualität entfalten können. Ambulant vor Stationär, wie auch ausdrücklich von der UN-BRK gefordert, steht für uns im Mittelpunkt, ganz nach dem Motto „Weg vom Objekt der Fürsorge hin zum Subjekt der Selbstbestimmung“.
Natürlich ist uns bewusst, dass dies nicht immer möglich ist, diverse Menschen mit Behinderungen – besonders Menschen mit mehrfacher Behinderung – brauchen dauerhafte Assistenz. Immer müssen aber die Belange der einzelnen Menschen berücksichtigt werden und im Vordergrund stehen.
Nach unseren Recherchen sowie Erfahrungen ist das Thema „Behinderung“ in den Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe ungenügend vertreten. Es besteht zu wenig Sensibilität für Menschenrechte, Würde, Autonomie sowie für unsere besonderen Bedarfslagen. Immer wieder wird bei der Behandlung behinderter Menschen auf das Sozialpädiatrisches Institut (Kinderzentrum) oder das noch zu schaffende Sozialmedizinisches Zentrum für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) verwiesen. Beide Einrichtungen sind wichtig für eine bestimmte Gruppe von behinderten Menschen. Die beiden Einrichtungen entlassen aber das Regel-Gesundheitswesen nicht aus der Verantwortung, als erster Ansprechpartner für uns behinderten Menschen zu dienen sowie sich Wissen und Kompetenz entsprechend anzueignen!
Ein weiteres unbeachtetes Feld ist, auch Menschen mit Behinderungen haben das Recht auf Familie und das Recht auf eigene Kinder und auch das Recht, eigene Kinder wachsen zu sehen, sie zu erziehen. Hier sehen wir eine große Gesetzeslücke wenn es um das Recht der betreuten Menschen mit Behinderungen geht und dem Recht eigene Kinder ohne Fremdeinmischung erziehen zu können. Sicherlich sind auch Menschen mit Behinderungen hervorragende Eltern. Man muss ihnen nur das Recht zusprechen und sie sinnvoll und unterstützend begleiten. Mitbetreuung durch direkte Verwandte oder speziell geschulten Betreuer könnten Lösungen darstellen.
Behindert ist man nicht, behindert wird man. Die Probleme, die Menschen wegen ihrer Beeinträchtigungen haben, haben ihre Ursachen immer auch in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Um diese zu verbessern, ist die AG „Selbst Aktiv“ die politische Interessenvertretung in der SPD, die speziell für die Behindertenpolitik einwirkt. Öffentlichkeitswirksame Aktionen und Mitarbeit in politischen Gremien und Verbänden sind zentrale Bausteine unserer Lobbyarbeit für behinderte Menschen.
- Wohnen
Der Wohnungsbestand in Bremen ist schwerpunktmäßig und historisch nicht darauf ausgelegt barrierefrei, wie etwa mit Rollstuhl oder Rollator, benutzt zu werden.
Die Novellierung der Bremischen Landesbauordnung (BremLBO) (Vorlage Nr. 19/307 (L)) sieht in die richtige Richtung:
Barrierefreies Bauen
Überführung der am 2. Dezember 2014 vom Senat beschlossenen Maßnahmenvorschläge zum barrierefreien Bauen aus dem Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Land Bremen in gesetzliche Regelungen (siehe § 50).
Dennoch ist ein bezahlbarer Wohnungsraum, besonders für Menschen mit Behinderungen, die ja teilweise auch von sozialer Unterstützung leben, Mangelware. Die Wohnungen müssen, den Anforderungen entsprechend, Groß genug sein.
Im Land Bremen sind in den vergangenen Jahren „so gut wie keine uneingeschränkt rollstuhlgerechten Wohnungen entstanden“: (Quelle TAZ vom 24.07.2016)
Dennoch ist für Menschen, die auf Rollstuhl oder Rollator angewiesen sind, eine positive Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt zu ersehen. Großen Anteil an der Entwicklung hat die Landesbauordnung. In der nun novellierten Fassung schreibt sie vor, dass in allen Neubauten mit Fahrstuhl (verpflichtend ab fünf Geschossen) auch „alle Wohnungen barrierefrei ausgeführt werden müssen“. Barrierefrei bedeute hier aber tatsächlich nur „eingeschränkt barrierefrei“. Ermöglicht werde der problemlose Zugang für Gehbehinderte und Rolllatornutzer, Die Wohnungen müssen laut Landesbauordnung aber nicht rollstuhlgerecht, also uneingeschränkt barrierefrei sein. Diverse unerfüllte Wohnungsgesuche werden in den Verzeichnissen der unterstützenden Ämtern bzw. unterstützenden Vereinen geführt. Auch wenn die GEWOBA in der Zwischenzeit praktisch nur barrierefrei baut und davon 5% Rollstuhlgeeignet sind, ist das Ziel des barrierefreien Wohnens noch lange nicht erfüllt. Hier beschränkt sich zudem der Pflichtanteil im Wesentlichen auf öffentlich geförderten Wohnungsbau oder auf Hochbauten. In Hinblick auf eine älter werdenden Gesellschaft und wachsender Anzahl von Menschen mit Behinderungen, muss der barrierefreie Wohnungsbau unbedingt weiter gefördert werden. Eine weitreichende Verpflichtung auch für den privaten Wohnungsbau ist anstrebenswert. Hierbei bedarf es auch einer mentalen Öffnung für andere Behinderungen wie Sehbehinderungen (taktile Hilfestellungen), Angstzustände oder andere Erkrankungen die zu einer Behinderung führen könnten. Individueller und barrierefreier Wohnungsbau wird auch immer dringlicher um die Projekte der gesetzlich vorgegebenen Selbstbestimmung und „Ambulant vor Stationär“ der Menschen mit Behinderungen verwirklichen zu können. - Barrierefreiheit
Das Bremische Behindertengleichstellungsgesetz (BremBGG) definiert die Barrierefreiheit in § 4:
Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.
Dieses weitergehende Verständnis von Barrierefreiheit findet sich im Bremischen Bundesland auch beispielsweise in den Landesbauordnungen. Gesetze, die den öffentlichen Verkehr betreffen, sprechen häufig von Menschen mit Behinderungen und solchen mit anderen Mobilitätsbeeinträchtigungen
Der im deutschen Sprachraum kursierende Begriff „behindertengerecht“ wird zunehmend ungebräuchlich, da mit dieser Benennung keine umfassende Zugänglichkeit und Benutzbarkeit für alle Menschen bezeichnet werden kann.
Im weiteren Sinn zielt das Prinzip der Barrierefreiheit aber darauf, dass nicht nur Menschen mit Beeinträchtigungen, beispielsweise ältere Menschen mit Geh-, Seh- oder Gleichgewichtsstörungen, sondern auch Personen mit Kleinkindern (Kinderwagen) oder auf Rollatoren Angewiesene in die frei zugängliche Nutzung der baulich gestalteten Umwelt einbezogen werden. Diese weitergehende Sichtweise unterscheidet nicht mehr zwischen einzelnen Personengruppen, vielmehr sollen die Bedürfnisse aller Menschen berücksichtigt werden. Dieses Verständnis der Barrierefreiheit wird daher auch „Design für Alle“ oder „universelles Design“ genannt. Dabei spielt auch die demografische Entwicklung seit den 1990er Jahren zunehmend eine Rolle für die Bedeutung einer barrierefreien Umweltgestaltung. So wird sich in etwa in Deutschland die Zahl der 80-Jährigen und Älteren nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes bis zum Jahr 2050 nahezu verdreifachen: von heute knapp vier auf zehn Millionen Menschen. (Quelle: Wikipedia)
Die wichtigsten Einschränkung definiert das BremBGG jedoch gleich im § 5:
Dieses Gesetz gilt für die Behörden des Landes Bremen und der Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven und die sonstigen nicht bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts mit Sitz im Land Bremen als Träger öffentlicher Gewalt. Sie sollen im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel und nach Maßgabe der §§ 8 bis 11 für die dort beschriebenen Regelungsbereiche insbesondere geeignete Maßnahmen zur Herstellung der Barrierefreiheit, soweit diese in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich noch nicht gewährleistet ist, ergreifen und gemäß §§ 6 und 7 auf die Beseitigung bestehender und die Vermeidung neuer Benachteiligungen hinwirken.
Der gesamte Bereich der privaten Wirtschaft ist damit von keinem Gleichstellungsgesetz erfasst. Erst nach ausdrücklicher Anforderung muss nachgerüstet werden. Zeit und Kosten sind bei baulichen Anpassungen jedoch erheblich und teilweise nicht zumutbar.
Hier stellen sich unsere Forderungen besonders hoch denn die Auswirkungen sind erheblich. Wir nennen einige Beispiele:
– Zugang in historische Gebäude sind oftmals nicht möglich oder eventuell nur sehr eingeschränkt, ggf. über Service- oder Lastenaufzüge.
– sowohl beim Straßenbau als auch beim Bau allgemein wird selten auf Barrierefreiheit um die Baustelle herum geachtet. Bürgersteige müssen trotz Bauarbeiten für alle Menschen nutzbar sein, eine Schippe Sand um Ungleichheiten im Gelände auszugleichen ist nicht ausreichend, ein Rollstuhl fährt sich dort fest.
Ein Beauftragter für Belangen der Menschen mit Behinderungen muss für jede Baustelle eine Abnahme anfertigen und diese der Baubehörde vorlegen können. Ggf. sind Strafen bei Nichteinhaltung der Vorschriften nach DIN und des BremBGG in Bezug zu nehmen.
– Öffentliche und private Spielplätze müssen barrierefrei für alle Kinder nutzbar sein, auch Kinder im Rollstuhl haben das Recht auf Spielplatznutzung. Die Geräte müssen entsprechend ausgerichtet sein. Dafür muss unbedingt gesorgt werden!
– Arztbesuche. Niemand möchte den privatwirtschaftlich geführten Arzt- oder Pflegepraxen in älteren Gebäuden zumuten den Zugang barrierefrei zu gestalten oder behindertengerechte Einrichtungen bereit zu stellen. Bei Neubauten wird dies weitgehendst umgesetzt, bei Umbauten bestehender Gebäude wird darauf jedoch nicht geachtet. Hier müssen die Kassenärztliche Vereinigung Bremen und die Ärztekammer Bremen aufgefordert werden sich einen eigenen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu geben.
Eventuell wäre es angebracht auch Fördermittel für Anpassungen zur Barrierefreiheit oder Umbauten zur Verfügung zu stellen.
– Restaurants, Kneipenbesuche, Kultureinrichtungen, Sporteinrichtungen, alle Orte des öffentlichen Lebens müssen barrierefrei zugänglich sein. Oftmals reichen dazu kleine Eingriffe, zum Beispiel in Form einer einfachen Rampe, aus. Behindertengerechte Toiletten müssen unbedingt vorgesehen sein. Ausreichend Platz für Rollstuhlfahrer oder Menschen mit Rollatoren muss jederzeit gewährleistet sein.
Begleithunde müssen akzeptiert werden und dürfen nicht zun Ausgrenzungen führen.
– öffentliche Toiletten. Ein Skandal!
Ganze 3 öffentliche behindertengerechte Toiletten gibt es in der Stadt Bremen. Mit den sogenannten „nette Toilette“ oder zu Öffnungszeiten nutzbare Toiletten sind es immerhin ganze 33 Stück. Nette Toiletten sind aber nicht jederzeit nutzbar. (Quelle: Stadtführer barrierefreies Bremen, 01.05.2018)
– ÖPNV: Barrierefreiheit heißt nicht nur, dass bauliche Hindernisse bei Fahrzeugen und Haltestellenanlagen beseitigt werden. Es bedeutet auch eine möglichst vollständige Nutzbarkeit des gesamten Systems. Dazu gehören z. B. eine kontrastreiche Gestaltung der öffentlichen Verkehrsanlagen und eine geeignete Ausführung von Informations- und Kommunikationseinrichtungen wie eine barrierefreie Homepage.
Damit sorglos Busse und Bahnen mit einem Rollstuhl oder Rollator nutzen können, bieten einige Verkehrsunternehmen wie BREMERHAVEN BUS, BSAG und VWG auch spezielle Mobilitätstrainingstermine an. (Quelle vbn.de)
Weitere Verbesserungen sind allerdings möglich wie z. B. lautere und deutlicheres Ansagen in Bussen und Bahnen (Gehörgeschädigte), Ansage an den Haltestellen welche Linie gerade anfährt und wohin die Reise geht (Sehbeeinträchtigte Menschen), mehr Stellplätze für Rollstühle, Rollatoren, Kinderwägen. Rücksichtsvollere Anfahrt(en) für Menschen mit Gehbehinderungen/Gleichgewichtsstörungen.
– kleinwüchsige Menschen oder Menschen mit kurzen Gliedmaßen kommen oft nicht an notwendige Vorrichtungen: Wasserhahn zu hoch, zu weit weg vom Beckenrand. Seifenspender oder Handtücher nicht erreichbar. Klingel an Gebäuden sind zu hoch, nicht erreichbar.
– großwüchsige Menschen dagegen sollten wohl eher mit Kopfschutz durch Türen, oftmals sogar unter Dekorationen, Durchgängen oder sonstigen Hindernissen laufen müssen.
– Geldautomaten oder ganz viele „normale“ Geräte sind aus dem Rollstuhl nicht bedienbar. Auch hier nochmal das Problem der nicht erreichbaren Klingel- oder Rufanlagen.
– Notruf- oder Hilfeeinrichtungen sind nicht Barrierefrei. Taubstumme können auch nicht telefonieren oder Gegensprechanlagen nutzen. Technische Hilfsmittel gibt es aber zwischenzeitlich um Sprache in Schrift oder Schrift in Sprache zu übersetzen. Diese Hilfsmittel müssen gefördert und für alle zugänglich gemacht werden.
– die Umsetzung barrierefreier Homepages öffentlicher und privater Unternehmen oder Einrichtungen lässt weiterhin zu wünschen übrig.
So wollen wir in ein Zeitalter der „Digitalisierung“ starten? Fangen wir doch bitte bei alltäglichen Bedarfen an.
Unterschiedlicher und gegensätzlicher können Beeinträchtigungen nicht sein, sie alle stellen aber einzeln oder gemeinsam die „Behinderung“ dar.
- Körperliche Beeinträchtigungen
Als körperbehindert wird ein Mensch bezeichnet, wenn er infolge einer Schädigung des Stütz- und Bewegungsapparates oder einer anderen organischen Schädigung in seiner Bewegungsfähigkeit beeinträchtigt ist. Das ist meistens sichtbar. Diese Menschen brauchen – bei Anforderung – Hilfe um natürliche oder künstliche Hindernisse zu überwinden. - Seelische Beeinträchtigungen
Eine psychische oder seelische Störung ist eine krankhafte Beeinträchtigung der Wahrnehmung, des Denkens, Fühlens, oder Verhaltens. Auch das Selbstbild (Selbstwahrnehmung) kann verändert sein.
Ein wesentlicher Bestandteil dieser Störungen ist zudem oft eine verminderte Selbstregulationskompetenz. Ist dies der Fall, können die Betroffenen ihre Erkrankung auch durch verstärkte Bemühungen, Selbstdisziplin oder Willenskraft nur schwer oder gar nicht beeinflussen. Folgen der psychischen Symptomatik sind meist Probleme, den Alltag zu meistern, oder belastete soziale Beziehungen (z. B. durch Schwierigkeiten, soziale Rollen wie vorher auszufüllen).
Psychische Störungen treten in vielfältigen Erscheinungsformen auf und können großes persönliches Leiden verursachen. Sie gehören zu den am weitesten verbreiteten Erkrankungen: So schätzt die Weltgesundheitsorganisation, dass weltweit etwa 300 Millionen Menschen von Depressionen, 47,5 Millionen von Demenz und 21 Millionen von Schizophrenie betroffen sind. (Quelle: wikipedia.org) - Geistige Beeinträchtigungen
Geistige Behinderung bedeutet eine signifikant verringerte Fähigkeit, neue oder komplexe Informationen zu verstehen und neue Fähigkeiten zu erlernen und anzuwenden (beeinträchtigte Intelligenz). Dadurch verringert sich die Fähigkeit, ein unabhängiges Leben zu führen (beeinträchtigte soziale Kompetenz). Dieser Prozess beginnt vor dem Erwachsenenalter und hat dauerhafte Auswirkungen auf die Entwicklung.
Behinderung ist nicht nur von der individuellen Gesundheit oder den Beeinträchtigungen eines Kindes abhängig, sondern hängt auch entscheidend davon ab, in welchem Maße die vorhandenen Rahmenbedingungen seine vollständige Beteiligung am gesellschaftlichen Leben begünstigen.
Im Kontext der WHO-Initiative „Bessere Gesundheit, besseres Leben“ schließt der Begriff „geistige Behinderung“ auch Kinder mit autistischen Störungen ein, die geistige Beeinträchtigungen aufweisen. Er schließt aber auch Kinder ein, die aufgrund vermeintlicher Behinderungen oder einer Ablehnung durch ihre Familie in Institutionen eingewiesen wurden und deshalb Entwicklungsstörungen und psychologische Probleme aufweisen. (Quelle: WHO/Europa) - Sinnesbeeinträchtigungen
Unter Sinnesbehinderungen werden Behinderungen verstanden, die den Gehörsinn und Gesichtsinn betreffen. Zu den Sinnesbehinderungen zählen Hörbehinderungen, Sehbehinderungen und Taublindheit. Bei den Hör- und Sehbehinderungen wird zwischen unterschiedlich starken Ausprägungen unterschieden. Bei den Hörbehinderungen gibt es unterschiedlich starke Ausprägungen der Schwerhörigkeit bis hin zur Gehörlosigkeit. Auch Tinnitus gilt als Hörbehinderung. Auch bei den Sehbehinderungen gibt es unterschiedlich starke Ausprägungen der Fehlsichtigkeit bis hin zur Blindheit. (Quelle: myhandicap.de) - Mehrfachbeeinträchtigungen
Grundsätzlich ist jede Kombination von Beeinträchtigung möglich, damit man von einer Mehrfachbeeinträchtigung sprechen kann. Hier ist fast immer eine individuelle Lösung notwendig. Deshalb muss hier ein besonderer Augenmerk auf die Bedürfnisse dieser Menschen erbracht werden.
Den Einbezug von Kindern mit deutlichen Lernbeeinträchtigungen, sogenannten geistigen Behinderungen oder auch Mehrfachbehinderungen, also von Kindern, die zieldifferent unterrichtet werden müssen (d. h. die nicht die gleichen Bildungspläne und Lernziele wie die anderen Kinder verfolgen) können sich viele PädagogInnen und andere Beteiligte meist noch schwer vorstellen.
Dies hängt sicher zum einen mit einer allgemeinen Scheu und mit mangelnden Erfahrungen im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen zusammen. Zum anderen aber auch mit einer unmittelbar aufkommenden Frage: Wie gestaltet man Unterricht (und auch andere Dinge des Schullebens) so, dass ALLE Kinder erfolgreich partizipieren, ihren Möglichkeiten entsprechend lernen und ihr Leistungspotential entfalten können?
Erleichternd kann zunächst einmal das Wissen sein, dass nicht alle Kinder das Gleiche schaffen können und müssen. Kinder mit deutlichen Lernbeeinträchtigungen, sogenannten geistigen Behinderungen oder auch Mehrfachbehinderungen werden nach den Bildungsgängen der Förderschwerpunkte Lernen oder Geistige Entwicklung unterrichtet – also zieldifferent zu den anderen Kindern.
Gleichzeitig bedeutet grade die Aufnahme von Kindern, die lernzieldifferent unterrichtet werden, nach Aussage vieler im Gemeinsamen Lernen erfahrener LehrerInnen einen Gewinn, der für das Lernen aller SchülerInnen genutzt werden kann: Der Blick für unterschiedliche Lernwege und Bedürfnisse von Kindern wird geschärft – die Notwendigkeit der individuellen Förderung für alle Kinder wird offensichtlich.
Das Nachdenken darüber, wie man die besten Lernbedingungen für lernzieldifferent unterrichtete Kinder schafft, damit diese ihre Leistungspotential abrufen können, öffnet den Blick dafür, welche Lernbedingungen andere Kinder der Lerngruppe brauchen: das Kind mit einer besonderen Begabung, das Kind, welches Deutsch als Zweitsprache spricht, das Kind, welches eine soziale Benachteiligung als „sein Paket“ mitbringt, aber auch das Kind, das scheinbar auf einem „normalen“, „durchschnittlichen“ Niveau lernt.
(Quelle: lernwirkstatt-inklusion-oe.de)